SEBASTIAN BURGER & SEBASTIAN HAAS
THE INCIDENT RAY
18.08. -
22.09.2023
kuratiert von Domenico de Chirico
Mit der Tendenz zu einer fehlerfreien und möglichst unparteiischen Entwicklung des menschlichen Wissens und geleitet von einem zufälligen, augustinischen Strahl, der einer kraftvollen, hellen Quelle entspringt, führt uns "The Incident Ray" (dt. "Der zufällige Strahl") zu einer tiefen Reflexion sowohl über den Blick des Menschen auf sich selbst als auch über seine Fähigkeit, sich von der Wirklichkeit beeindrucken zu lassen - verlogen und zuverlässig zugleich.
Die Wirklichkeit, von der hier die Rede ist, ist die einer modernen Gesellschaft, in der Bilder unumstößlich als Mystifikation verstanden werden, die darauf abzielt, die vorherrschenden gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse zu rechtfertigen, wie es der Schriftsteller und Philosoph Guy Debord in seinem Essay "La société du Spectacle" (dt. "Die Gesellschaft des Spektakels") von 1967 theoretisiert hat. Debord
spricht von der Trennung der Bilder vom Leben und von jenem entscheidenden Moment, in dem wir beginnen, das Spektakel als "Umkehrung des Lebens" zu betrachten und zu erkennen, dass "Unterhaltung nicht eine Reihe von Bildern ist, sondern eine soziale Beziehung zwischen Individuen, die durch Bilder vermittelt
wird".
All dies in Frage stellend, hofft "The Incident Ray" inständig, dass das oben erwähnte imaginative Licht - gerecht, erlösend, intensiv und leuchtend - bald eingreifen möge, um die Geschicke dieser hypertechnologischen, postwahrheitsorientierten "angeketteten modernen Gesellschaft" zu lenken, die bis
heute nicht bereit zu sein scheint, der Legitimierung der außergewöhnlichen und eigentümlichen Authentizität der sozialen Beziehungen zwischen Individuen zuzustimmen. In diesem Sinne sind die Werke des deutschen Künstlers Sebastian Burger (*1980) und des Schweizers Sebastian Haas (*1992) hier zu sehen und bereit
zur Interaktion.
Sebastian Burgers zwiespältige künstlerische Praxis verfolgt auf unerhörte Weise den schmalen Grat zwischen figurativer und abstrakter Malerei. Der Ausgangspunkt seiner Arbeit besteht aus einer endlosen Reihe von stilisierten Bildern, die oft collageartig zusammengesetzt sind, abwechselnd zwischen präzise
ausgeführtem Illusionismus und gekonnter zweidimensionaler Darstellung. Stark inspiriert von Surrealismus und magischem Realismus sowie von der der metaphysischen Malerei von Giorgio de Chirico, schenkt uns Burger grosszügig neue und überraschende Bilder. Sie sind als Bedeutungssedimente zu verstehen,
die aus einer Vielzahl von Bezügen bestehen und ihrerseits zu ihrem Verständnis einen kühnen intuitiven Zugang erfordern. Alle seine Werke, die sich als piktorialistische Filme definieren lassen, machen in erster Linie Licht und den Raum, die Farbe und die Form, zu ihrem Gesamtumfang. Sie sind von unbestreitbarem Können und Technik und dienen als komplexe ästhetische Systeme, in denen die Dialektik der Querverweise zwischen allen Elementen immer drängender wird, bis zu dem Punkt, an dem es eine Zeit gibt, in der die Schatten, Gesten, Posen und Farbvariationen in einer scheinbar endlosen Pause erliegen.
Der Fokus von Sebastian Hass’ Werken liegt auf der schicksalhaften Beziehungsdimension zwischen Betrachter und Kunstwerk, bei der er sich für die so genannte Hinterglasmalerei einsetzt, oder vielmehr für die die auf der Rückseite der verwendeten Oberfläche, in diesem Fall von Glasplatten, ausgeführt wird, um so bei der Betrachtung des Werkes selbst eine irisierende Verzerrung in der Erfahrung der eigenen Reflexion zu erzeugen. Das Ergebnis ist eine Veränderung der Bilder und Empfindungen, die zunächst absichtlich geschieht und dann auf ganz natürliche Weise fortschreitet. Zwischen Zerbrechlichkeit und Kraft, Unverständlichkeit und Beschreibbarkeit, Veränderung und Dauerhaftigkeit, Innerlichkeit und Teilhabe, Sehnsucht und Ehrfurcht, Horizont und Barriere, sind seine Skulpturen stets nach einer spontanen Interaktion mit dem natürlichen Licht aus, um sich in einer vitalen, prismatischen, unvorhersehbaren und fesselnden Show, in der die Reflexion den Betrachter zu einer Konfrontation mit seinem innersten "Ich" und seinem Spiegelbild unter den neugierigen Augen des anderen anregt.