"UNI" ist ein eigenartiges Wort. Liest oder hört man es, wirkt es sogleich vertraut und meist ergibt sich aus dem Kontext eine eindeutige Bedeutung des Wortes. Steht es jedoch für sich selbst, wird seine Bedeutung ungreifbar. Steht es nun als Kürzel für "Universität", bezeichnet es Einfarbigkeit, ist es das französische Partizip von "unir" (vereinen)? Oder bezeichnet es gar einen eßbaren japanischen Seeigel oder eine etruskische Göttin? In seiner Verbindung von vordergründiger Vertrautheit und semantischer Uneindeutigkeit paßt es trefflich zu den drei Künstlern in dieser Ausstellung, deren Arbeiten vertraute, aus dem Alltag bekannte Elemente aufnehmen, seien es nun Materialien, Techniken oder Bildtypen, und sie zur Herstellung von Objekten verwenden, deren möglicher Bedeutungsradius immer unstabiler und abgründiger wird, je länger man sie betrachtet. Auf den ersten Blick verführerisch, mit dem Dekorativen flirtend, entpuppen sie sich als hinterhältig im besten Sinne, Kippbilder, die eindeutigen Sinn verweigern und stattdessen mit dem Betrachter ihre Spiele treiben.
Mitchell Anderson greift in seiner Arbeit vorhandene Bilder und Objekte auf, inszeniert sie neu und läßt sie zu Emblemen von Spannungsverhältnissen werden. So entnimmt er einem Zeichentrickfilm die Darstellung eines gefesselten jungen Mannes und läßt sie in ein Gemälde ein, das mit einer aufwendigen auf die Antike zurückgehenden Technik gefertigt wurde, in der pigmentierte Wachslagen übereinandergeschichtet werden. Die Zeichnung verschwindet beinahe im üppigen Dunkelrot und Gelb der Wachsschichten, die an die Abenddämmerung denken lassen, und erfährt durch sie eine zweideutige Aufladung, die zwischen Heroik und Erotik oszilliert. Sehen wir das Leiden eines Gefangenen oder ein sadomasochistisches Liebesspiel? Ein Ballon in Rosenform, dem das Helium entwichen ist und nun zum hängenden Faltenwurf geworden ist, wohnt eine vergleichbare Ambivalenz inne: Ist er eine triste Erinnerung an einen vergangenes Fest, eine fast schon barock üppige Vanitas-Skulptur oder eine augenzwinkernde Anspielung auf Jeff Koons' glänzend bunte Stahlfiguren?
Hannah Sophie Dunkelberg surft in ihren Arbeiten auf dem Wellenkamm zwischen Skulptur und Malerei, Analog und Digital, Handarbeit und industrieller Fertigung. Unweigerlich denkt man an Lüster, wenn man ihre Lampenskulpturen sieht. Tritt man jedoch näher, wirken sie nicht länger lustvoll verschnörkelt, sondern harsch und fast schon bedrohlich, erinnern an Fallen und Handschellen an. Der dreidimensionale Aplomb weicht, in den Vordergrund tritt die flache Materialhaftigkeit der gefrästen Metallelemente, makelhaft und unregelmäßig, bloß ineinander gehängt und unstabil. Die improvisiert wirkende Handwerklichkeit, die Verweigerung von Perfektion und Beständigkeit unterminieren die skulpturalen Qualitäten, die eigentlich prima vista herkömmliche Erwartungen zu erfüllen scheinen. Auch ihre in lackierte Kunststoffreliefs übersetzten Zeichnungen unterlaufen gewohnte Zuschreibungen. Die Zeichnung, gemeinhin Inbegriff der künstlerischer Authentizität und Unmittelbarkeit, wird durch den penetrant ins Auge stechenden technischen Fertigungsprozeß entzogen und entrückt, ist nur noch echohaft gewärtig, und stellt so linear unmittelbar gedachte Ideen von Autorschaft in Frage.
Roman Gysin tastet die sozialen Aufladungen von Materialien ab, den "Klassenkampf des Geschmackes", wie er es nennt. Die Lebenswelt gesellschaftlich gehobener Schichten zeichnet sich meist durch hochwertig konnotierte Materialien aus, den Regeln des "guten Geschmackes" folgend verarbeitet. In weniger bemittelten Milieus müssen die Menschen sich zu helfen wissen, wenn sie eine sie visuell ansprechende Lebenswelt gestalten wollen, die Anmutung eines bescheidenen Überflusses, der das Leben aus der Tristesse hebt. Oft greifen sie dabei auf Imitate zurück, Polyester statt Seide, Holzlaminat statt Furnier. Die Dekorationsstrategie folgt nicht "guten Geschmack", sondern Sehnsüchten, so wie das Imitat eine Material gewordene Sehnsucht ist. Dem Imitat, dem Unechten, Halbechten wohnt etwas aufrührerisches, queeres inne, eine Weigerung, den normativen Status Quo zu akzeptierend. Die rosa lackierten Holzstücke auf dem Boden scheinen ironisch Holz als Inbegriff gediegener Natürlichkeit und Authentizität zu verspotten. Ob sie "echt" sind oder nicht, ist von Auge nicht zu erkennen, durch ihre Farbigkeit und Oberflächenbeschaffenheit jedoch geben sie sich sogleich als Produkte des Erdölzeitalter zu erkennen, es liegt nahe, sie als Fakes zu lesen. Echtes Holz erscheint hier als Holzimitat, wir sehen das Imitat eines Imitats, ein gänzlich paradoxes Objekt. Auch die Holzstücke in der Wandinstallation lassen sich nicht festmachen, sie werden mit an Handtaschen erinnernden Riemen in ein geometrisches Gefüge gebracht, Scheinnatur und Scheinluxus verschränken sich in einer Konstellation, die an Minimal Art und Arte Povera denken läßt – Ästhetiken, die in gewissen Milieus als Inbegriffe "guten Geschmacks" gelten und die hier als ein bloßer weiterer Look erscheinen, der zitiert werden kann.
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Ausstellungstext von Martin Jaeggi